Trauer ist eine der tiefsten und ehrlichsten Erfahrungen, die wir als Menschen machen können. Sie entsteht, wenn wir jemanden oder etwas verlieren, das uns wichtig war – sei es durch den Tod, eine Trennung oder einen anderen Abschied. Doch in unserer schnelllebigen Welt neigen wir oft dazu, diesen Schmerz zu verdrängen. Wir lenken uns ab, stürzen uns in Arbeit oder verschieben das, was eigentlich getan werden müsste, auf „irgendwann“.
Doch was passiert, wenn wir Trauer nicht zulassen?
Trauer, die unterdrückt wird, verschwindet nicht. Sie bleibt in uns und kann uns auf vielfältige Weise belasten – als Unruhe, als innere Leere, manchmal sogar als körperliche Beschwerden. Unsere Seele braucht Raum, um zu heilen. Und Trauer ist ein wichtiger Teil dieses Prozesses.
Erfahrungsgemäß fällt es vor allem vielen Männern besonders schwer, Trauer zuzulassen
In unserer Gesellschaft wird Männern oft vermittelt, Stärke durch Unverwüstlichkeit zu zeigen und Emotionen wie Trauer zu unterdrücken. Viele neigen daher dazu, den Schmerz beiseite zu schieben und stattdessen ihre Energie in Arbeit, sportliche Aktivitäten oder andere Ablenkungen zu stecken. Doch gerade diese Haltung kann dazu führen, dass die Trauer im Inneren gärt und sich langfristig auf das seelische und körperliche Wohlbefinden auswirkt.
Trauerarbeit bedeutet Liebe und Heilung
Trauer zuzulassen, bedeutet, den Schmerz anzuerkennen, ihn zu fühlen und ihn schrittweise zu verarbeiten. Es ist ein Ausdruck von Liebe – zu dem Verlorenen, aber auch zu uns selbst. Denn wenn wir uns erlauben zu trauern, schenken wir uns die Möglichkeit, uns mit dem Verlust auseinanderzusetzen, Frieden zu finden und eines Tages mit neuem Mut weiterzugehen.
Der Versuch, sich nur abzulenken oder die Trauerarbeit aufzuschieben, wie etwa das Entrümpeln der Dinge eines Verstorbenen, mag kurzfristig Erleichterung bringen. Doch langfristig bleibt diese Aufgabe in uns wie ein unerledigtes Kapitel. Wir tragen sie mit uns, manchmal sogar über Jahre. Und das kann uns daran hindern, das Leben wirklich wieder zu umarmen.
Das Durchleben der Trauer ist ein Weg zurück zu uns selbst
Trauer kann schmerzhaft und überwältigend sein. Aber sie ist auch eine Brücke, die uns hilft, uns mit uns selbst zu verbinden. Wenn wir uns erlauben, zu weinen, wütend zu sein, zu zweifeln oder uns leer zu fühlen, dann erlauben wir uns gleichzeitig, Mensch zu sein.
Es gibt keinen „richtigen“ Zeitpunkt, um Dinge loszulassen oder sich mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Aber es gibt einen Moment, an dem wir spüren, dass es Zeit ist, hinzusehen – auch wenn es wehtut. Trauer ist kein Zeichen von Schwäche. Im Gegenteil: Sie ist ein mutiger Schritt, sich dem Leben in all seinen Facetten zu stellen.
Wenn du trauerst, sei liebevoll zu dir selbst
Gib dir Zeit. Gib dir Raum. Nimm dir jemanden an die Seite, wenn es zu schwer ist, alleine zu gehen. Es ist in Ordnung, Hilfe anzunehmen – von einem Freund, einer Familie oder auch von einer Therapeutin wie mir.
Trauer ist kein Zustand, den man „überwinden“ muss, sondern ein Prozess, den man durchlebt. Und wenn wir uns erlauben, diesen Weg zu gehen, werden wir eines Tages merken, dass sich die Schwere wandelt. Vielleicht bleibt ein leiser Schmerz, aber er trägt auch Erinnerungen und Dankbarkeit in sich – und das Licht eines neuen Anfangs.
Trauer ist Liebe, die keinen Ort mehr findet. Aber wenn wir sie durchleben, geben wir ihr einen neuen Platz in unserem Herzen. Und genau dort beginnt Heilung.
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