"Tom" war 42 Jahre alt, als er in meine Praxis kam. Er wirkte erschöpft, beinahe zerbrochen, und sprach zunächst nur zögerlich über seine Beziehung. Er erzählte, dass seine Partnerin ihn ständig kritisierte – seine Arbeit, sein Aussehen, sogar die Art, wie er atmete. Er begann, an sich selbst zu zweifeln, fragte sich, ob er wirklich alles falsch machte. Irgendwann erkannte er, dass ihre Worte nicht nur verletzend waren, sondern ihn systematisch klein machten.
Oder da war "Marco", ein Mann Anfang 30, der so isoliert wurde, dass er keinen Kontakt mehr zu seinen alten Freunden hatte. Seine Partnerin behauptete, sie wolle ihn schützen, aber in Wahrheit trennte sie ihn von seinem ganzen Unterstützungsnetzwerk. Er saß allein mit seinen Zweifeln und hatte niemanden, an den er sich wenden konnte.
Diese Geschichten sind keine Einzelfälle. Auch Männer können Opfer von toxischen Beziehungen und narzisstischem Missbrauch sein – das ist eine Realität, die noch viel zu oft übersehen wird.
Wie erkennen wir toxische Beziehungen?
Eine toxische Beziehung ist eine, in der ein Partner den anderen emotional, psychisch oder sogar physisch verletzt. Narzisstischer Missbrauch ist besonders perfide: Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung manipulieren, kontrollieren und zeigen oft keine Empathie. Das hinterlässt tiefe Wunden.
"Daniel" sprach oft davon, dass er Dinge vergessen hätte, obwohl er sicher war, sich richtig erinnert zu haben. Seine Partnerin behauptete immer wieder, dass er falschliege, bis er irgendwann an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelte. Dieses sogenannte Gaslighting ist eine häufige Methode, das Opfer in die Verwirrung und Abhängigkeit zu treiben.
Warum Männer selten als Opfer erkannt werden
Viele Männer schämen sich, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Gesellschaftliche Stereotypen vermitteln ihnen, dass sie stark, unabhängig und unerschütterlich sein müssen. Genau das hielt auch "Tom" lange davon ab, Hilfe zu suchen. Er wollte nicht als "schwach" angesehen werden.
Hinzu kommt, dass es oft weniger spezialisierte Hilfsangebote für Männer gibt. Während Frauenhäuser bekannt sind, gibt es für Männer oft keine vergleichbaren Anlaufstellen.
Unterstützung finden und Heilung beginnen
Es war berührend, zu sehen, wie "Marco" in einer Selbsthilfegruppe endlich Gleichgesinnte fand. Er sagte später, das sei der erste Moment gewesen, in dem er wieder Hoffnung gespürt habe. Therapie kann ebenfalls ein entscheidender Schritt sein – ein sicherer Raum, um zu reflektieren, die Muster zu erkennen und Wege aus der Beziehung zu finden.
Manchmal sind auch rechtliche Maßnahmen notwendig. "Daniel" entschied sich, eine einstweilige Verfügung zu beantragen, nachdem es zu körperlichen Übergriffen gekommen war. Es war ein schwerer Schritt, aber ein befreiender.
Gesellschaftliche Veränderungen sind dringend nötig
Wir müssen umdenken: Männer dürfen keine Angst haben, Hilfe zu suchen, und wir als Gesellschaft dürfen nicht wegschauen. Es ist Zeit, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen und anzuerkennen, dass Männer genauso Opfer von Missbrauch sein können wie Frauen.
Mein Appell
An all die "Toms", "Marcos" und "Daniels" da draußen: Ihr seid nicht allein. Es gibt Wege, aus der Dunkelheit herauszukommen, und es gibt Menschen, die euch glauben und unterstützen. Der erste Schritt ist oft der schwerste – aber er ist auch der wichtigste.
Gemeinsam können wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass auch Männer Schutz und Heilung verdienen.

Comments